Projekt

Um 1:23 Uhr nachts am 26. April 1986 unterlief den Mitarbeitern im Kontrollraum des Atomkraftwerks Tschernobyl ein Fehler bei einer Routinesicherheitsprüfung. Das Ergebnis waren eine Explosion und ein Feuer, das zehn Tage lang brannte. Der radioaktive Niederschlag verseuchte mehr als 100.000 Quadratkilometer im Umfeld und vertrieb mehr als eine Viertelmillion Menschen für immer aus ihren Häusern. Es war der bislang schlimmste Atomunfall der Welt.

25 Jahre nach der Tragödie kehrte ich Anfang 2011 zum Reaktor und in die umliegenden Gebiete zurück, um meine Berichterstattung über die Folgen des Unfalls fortzusetzen, sie zu aktualisieren und sie zu erweitern. Ich habe mich mit meinen Kameras erneut in stark kontaminierte Bereiche begeben, wobei ich wusste, dass meine Erkundungen nicht ohne persönliches Risiko waren. Wie viele meiner Kollegen tat ich dies im Dienst der sonst stummen Opfer, die ihr eigenes Leid in der Hoffnung öffentlich machen, dass Tragödien wie die von Tschernobyl zukünftig verhindert werden können.

Weil die traditionelle Medienberichterstattung mit finanziellen Einschränkungen kämpft, müssen Dokumentarfotografen neue Wege finden, um Geldmittel für die langfristigen Projekte zu akquirieren, die ihnen besonders am Herzen liegen. Während viele im Mediengeschäft sich darauf verlegt haben über Stars und Prominente zu berichten, sind Fotografen wie ich davon überzeugt, dass es sowohl den Bedarf an als auch den Wunsch nach ernsthaften Themen gibt. Als sich der 25. Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl näherte, habe ich mich über Kickstarter.com an die Öffentlichkeit gewandt und um Hilfe bei der Finanzierung dieses Langzeitprojektes gebeten. Die Kickstarter-Kampagne finden Sie hier.

Auf meinen Aufruf hin haben 435 Spender insgesamt $23.316 aufgebracht. Dieser Betrag erlaubte es mir, für 5 Wochen nach Tschernobyl zurückzukehren und nicht nur in der 30km-Sperrzone zu fotografieren, sondern auch erneut tief in den Reaktor vorzudringen. Siehe Spender und Sponsoren.

Eine erste Ausstellung mit früheren und neuen Fotos fand in April 2011 in London in der EBRD-Zentrale statt. Ziel der Ausstellung war es, die Politiker von Geberländern wachzurütteln, und sie zu bewegen, das Finanzierungsloch für den geplanten zweiten Sarkophag zu schließen. Er soll den zerbröckelnden Reaktorbau und auch die 200 Tonnen geschmolzener nuklearer Brennstäbe umschließen und so die Welt vor den tödlichen Überresten schützen. Siehe Ausstellung in der EBRD-Zentrale in London.

Im Mai 2011 wurde beim Fotofestival Horizonte in Zingst (Deutschland) in einem ehemaligen DDR-Militärgebäude eine Installation von 50 großformatigen Fotos, Videoclips, Diagrammen und Texten gezeigt. Siehe Erfolgreiche Ausstellung in Zingst

Von Anfang an war es mein Ziel, die neuen Technologien dazu zu nutzen, die Öffentlichkeit über die Zustände im Reaktor und in der Sperrzone, sowie über die gesundheitlichen Folgen für die betroffenen Menschen auf dem Laufenden zu halten. Daher stellte ich im Dezember 2011 ein iPad App „The Long Shadow of Chernobyl“ vor. Das digitale Fotobuch ist eine interaktive multimediale fotografische Dokumentation der Folgen des Reaktorunfalls über einen Zeitraum von fast zwei Dekaden. Sie zeigt in eindringlichen Fotos, Texten und Videoclips die Auswirkungen der Katastrophe auf die Menschen und ihre Umwelt.

Weitere Projekte sind in der Vorbereitung, u.a. ein Buch und zusätzliche Ausstellungen. Auf dieser Webseite werden Sie über den Fortgang des Projekts auf dem Laufenden gehalten. Außerdem finden Sie regelmäßig Informationen auf Facebook und Twitter.

-Gerd Ludwig

ÃœBER DIE ATOMKATASTROPHE VON TSCHERNOBYL:

Das Kernkraftwerk Tschernobyl liegt in einer mit Zäunen gesicherten Sperrzone. Die hochradioaktiven Reste des zerstörten Reaktors schwelen nach wie vor im Inneren des so genannten Sarkophags, einer Beton- und Stahlverkleidung, die hastig nach dem Unfall errichtet wurde. Doch die Konstruktion weist Risse auf und ist brüchig, so dass sie nun zusammenzubrechen droht. Dabei könnte genug Strahlung freigesetzt werden, um eine zweite Katastrophe ähnlichen Ausmaßes zu verursachen. Die Arbeit an einer neuen Umhüllung, die über die alte geschoben werden soll, hat bereits begonnen. Sie soll den noch verbliebenen Kernbrennstoff versiegeln. In der Zwischenzeit werden verzweifelte Anstrengungen unternommen, um den Sarkophag so abzustützen, dass er nicht einbricht.

In den 1970er Jahren wurde in nur knapp drei Kilometern Entfernung vom Reaktor die Stadt Pripjat für die Mitarbeiter des Kernkraftwerks erbaut. Ihre 50.000 Einwohner wurden erst 36 Stunden nach dem Unfall evakuiert. Heute ist Pripjat eine unheimliche Geisterstadt, deren Gebäude stumme Zeugen des hastigen Aufbruchs sind. Während die Natur das Gebiet wieder zurückerobert, wird das Stadtgebiet noch hunderte Jahre für eine neue Besiedelung durch Menschen ungeeignet bleiben.

Ungeachtet der Strahlenbelastung sind einige hundert ältere Menschen in ihre Dörfer innerhalb der Sperrzone zurückgekehrt. Sie ziehen es vor, auf ihrer eigenen, verseuchten Heimaterde zu sterben als irgendwo in einer anonymen Vorstadt an gebrochenem Herzen. 70% des radioaktiven Niederschlags wurden nach Weißrussland getragen und kontaminierten fast ein Viertel des gesamten Landes. Mobile medizinische Einheiten berichten dort noch immer von schwersten Schilddrüsenerkrankungen.

In einem früheren Bericht der Vereinten Nationen wurde geschätzt, dass am Ende als Ergebnis des Unfalls etwa 4.000 Menschen Krebserkrankungen erliegen würden. Große Umweltorganisationen geben hingegen an, dass heute bereits mehr als 100.000 Menschen in Folge der Katastrophe gestorben sind. Ungeachtet der offiziellen Angaben und angesichts einer weltweiten Anstrengung, Kernenergie als grüne Energie darzustellen, müssen wir uns an den Tschernobyl-Unfall als eine der möglichen Folgen der Atomenergienutzung erinnern.

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